Rückspiegel: Oktober 2020

Historisches: Reisen und mehr

In diesem Jahr 2020 wurde das Reisen ja vielfach zum Thema gemacht, sei es, welche Auslandsreise noch möglich war, sei es, ob man überhaupt ins Ausland reisen sollte oder gar zu Hause bleiben müsse. Aus der Sicht der 1950er Jahre betrachtet sind das reine Luxusüberlegungen. Wenn jemand damals schon ans Reisen denken konnte, dann dachte er über Ziele im Inland nach, vielleicht konnten Verwandte im entfernten Bundesland billige Unterkunft bieten. Es gab „Weltenbummler“, die auf dem Fahrrad die Welt erkundeten und in der Schule danach Vorträge darüber hielten, vielleicht sogar mit dem einen oder anderen Farbdia verschönt. Ich habe in meiner Grundschulzeit zweimal an solchen Vorträgen teilgenommen. Die meisten Menschen verfügten über kein Auto, so wurde mit der Bundesbahn gereist; es gab spezielle aber teure Sonderzüge von TOUROPA (blaue Wagons!), die fuhren zu den beliebtesten Reisezielen. TOUROPA schickte auch schon vereinzelt Reisebusse auf die Strecke auch zu Zielen außerhalb Westdeutschlands. Seit Anfang der 1950er Jahre hatten die Bürger Westdeutschlands ja wieder international anerkannte Reisepässe. In die wurden dann von den Banken die für die Auslandsreise getauschten Devisen eingetragen, denn die D-Mark war noch nicht frei handelbar, es gab Obergrenzen des Devisen-Erwerbs. Im Unterschied zur Vorkriegszeit gab es jedoch für Automobil-Reisende schon diverse Erleichterungen. War das Carnet für das Auto vor dem Kriege noch weitgehend Pflicht, so wurde diese Zollformalität schon früh erleichtert. Dafür konnte man in Italien nur mit Benzingutscheinen auf genügend Sprit hoffen. Meine Tante, sie konnte sich schon einen VW-Käfer leisten, und meine Eltern verreisten mit Campingausrüstung, für Hotels im Ausland war nicht genügend Geld da. Ohne meine Tante verreisten meine Eltern mit mir mit der Bahn: Kassel – Hamburg zu den Großeltern; Kassel – Norddeich zu den Inseln Norderney und Juist mit viel Gepäck. Eine andere günstige Möglichkeit ergab sich für meine Eltern, sie waren befreundet mit einem hoch angesehenen Ingenieur, der zu dieser Zeit alltäglich über einen Firmenwagen mit Fahrer verfügte. Die beiden Paare wurden an die Mosel chauffiert, man konnte sich dem Weingenuss hingeben. So zu reisen scheint heute völlig aus der Zeit. Während junge Abenteurer erste Reisen mit dem Moped unternahmen, konnten die Normalbürger dann auch zuerst mit Gruppenreisen das Ausland erleben: Studienreisen auf den Spuren der Antike führten beispielsweise nach Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland. Mit der zunehmenden Stabilität der D-Mark wurden auch deutsche Touristen beliebter – auf jeden Fall beliebter als die uniformierten der Kriegszeit. Es gab aber  auch noch Vorbehalte, die auf den Krieg zurückzuführen waren. So merkte ich in einem Elektroladen in Den Helder, Holland, dass die ältere Dame am Verkaufstresen sehr zurückhaltend war. Ich war auch schon als Schüler in diesen Dingen sehr aufmerksam und fragte geradeheraus, ob die Zurückhaltung damit zu tun habe, dass ich Deutscher sei. Die Frau reagierte sehr freundlich und bejahte. Ich bat sie, mir zu erzählen, wie sie den Krieg erlebt hatte. Sie erzählte von der Besetzung des holländischen Hafens, von Zerstörungen usw. und dankte mir danach, dass ich dafür Interesse gezeigt habe. Ich wurde sehr freundlich verabschiedet. Ein ähnliches Erlebnis weiß ich aus einem englischen Zug zu berichten, ich traf dort auf einen jüdischen Kaufmann, der vor dem Kriege hatte nach England fliehen müssen, Er sah mich auf dem Gang auf meinem Koffer sitzen und bot mir während des Gesprächs an, in dem von ihm gemieteten Abteil Platz zu nehmen. Auch heute, obwohl nach dem Krieg geboren, fühle ich mich der deutschen Geschichte verpflichtet und suche das Gespräch gerade mit Menschen, die von deutschen „Abenteuern“ betroffen waren und sind.

In diesem Sinne…  Weitere Geschichten werden folgen…

Jubiläen und Merkwürdigkeiten Oktober:

01.10.1920

Mit der Gründung von „Groß-Berlin“ wird Berlin zur Vier-Millionen-Stadt.

01.10.1995

Deutschland und San Marino nehmen diplomatische Beziehungen auf.

02.10.1870

Die Bewohner des Kirchenstaates stimmen der Vereinigung mit dem Königreich Italien zu.

02.10.1895

Carl Eugen Langen stirbt 62-jährig in Köln. Der Ingenieur, Erfinder und Unternehmer ist an der Entwicklung des Otto-Motors beteiligt, er leitet das Unternehmen, das heute Deutz heißt. Als Unternehmer eines weiteren Unternehmens gilt er als Vater der Wuppertaler Schwebebahn.

03.10.1895

Julius Arigi wird in Tetschen, Österreich-Ungarn, geboren, er stirbt 86-jährig. Julius Arigi ist neben Godwin Brumowski der erfolgreichste österreich-ungarische Jagdflieger im ersten Weltkrieg. Nach einem Motorschaden an seinem Flugzeug gerät er in Montenegro in Gefangenschaft, Nach vier Fehlversuchen kann er auf sensationelle Weise fliehen. Bei einem Arbeitseinsatz kapert er den Fiat des König Nikola I und flieht zusammen mit sechs Kameraden zurück an die österreichische Front.

06.10.1870

Augustus Matthiesen vergiftet sich 34-jährig in London. Der britische Chemiker und Physiker und Schüler von Robert Wilhelm Bunsen stellt mit diesem 1854 und 1855 erstmals größere Mengen Lithium, Strontium und Barium her. Wegen einer Intrige gegen ihn begeht er Selbstmord.

 

06.10.1870

Johann Andreas Schubert stirbt 62-jährig in Dresden. Der Bauingenieur ist Mitbegründer der Sächsischen Elbe-Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Er eröffnet die Eisenbahnstrecke Dresden – Leipzig mit der von ihm konstruierten, ersten funktionsfähigen deutschen Dampflok Saxonia (1839). Er baut die Elstertal- und die Göltzschtal-Brücke. Die Göltzschtal-Brücke ist die erste statisch berechnete Brücke der Welt.

10.10.1920

Gail Seymour „Hal“ Halvorsen wird in Salt Lake City geboren. Er ist der erste Pilot der Berliner Luftbrücke, der für Berliner Kinder Süßigkeiten an kleinen Fallschirmen abwirft: „Rosinenbomber“.

08.09.1895

Friedrich Gottlob Keller stirbt 79-jährig in Krippen (heute Ortsteil von Bad Schandau, Elbe, Sachsen). Er entwickelt Papierherstellung aus Holzschliff, womit Papier zum billigen Massenprodukt wird.

13.10.1895

Kurt Ernst Carl Schumacher wird in Westpreußen geboren, er stirbt 57-jährig in Bonn. Er betreibt den Wiederaufbau der SPD nach dem zweiten Weltkrieg und wird der erste Oppositionsführer in Bonn.

16.10.1970

Mehmet Tobias Scholl wird in Karlsruhe geboren.

24.10.1945

Die Charta der Vereinten Nationen tritt in Kraft.

27.10.1895

Adele Spitzeder stirbt 63-jährig in München. Sie ist Schauspielerin aus Berlin und Anlagenbetrügerin mit ihrer „Privatbank“.

28.10.1970

Gary Gabelich erreicht mit seinem Raketenauto „Blue Flame“ erstmals mehr als 1000 Km/h mit einem Landfahrzeug.

 

 

Corona – Covid19 – Sars2 – wie auch immer

Eine Bemerkung ganz ohne Bezug zu den Viren sei noch erlaubt. Ein neuer Begriff, natürlich in Englisch, machte die Runde: „Lockdown“ zu Deutsch vielleicht „Ausschluss“ oder „Verschluss“. Zunächst finde ich es ärgerlich, dass wiederum ein englischer Begriff herhalten muss, um einen neuen Lebensumstand zu beschreiben. Zeigt es doch eine gewisse Hilflosigkeit unserer vermeintlichen (sprachprägenden) Eliten. In die Runde gefragt, stelle ich fest – und das nicht nur bei Oldtimer affinen Kreisen – das Positive an der neuen Lebenssituation ist etwas, was man sogar in Deutsch benennen kann: Entschleunigung. Gerade ältere Zeitgenossen erinnern gern die Zeiten, als Arbeit und Leben zeitlich nicht so verdichtet waren wie heute. Auch jüngere Gesprächspartner wissen diesen Nebeneffekt der Virus-Invasion zu schätzen. Doch von dort höre ich bereits die Klage: Leider geht es wieder los, leider noch heftiger als zuvor, denn… die verlorene Zeit muss wieder hereingeholt werden! Home-Office, das andere neue und wieder englische Wort, man sollte es mit „Büro zuhause“ benennen, beschreibt die neue Arbeitsplage. Im privaten Umfeld hält der Berufsstress Einzug. Weil man von seinen Kollegen getrennt ist, fordert diese Situation vermehrte Kommunikation zusätzlich zur Alltagsarbeit (Telefon, Mobile Phone, eMail), der Stress nimmt noch mehr zu als zuvor! Dabei hatten wir die Gelegenheit, die Arbeitswelt neu und menschlicher zu gestalten. Leider lernen wir nicht dazu – same procedure as usual – Manager denken jetzt darüber nach, ob jeder Mitarbeiter noch einen eigenen Arbeitsplatz benötigt. Unter Beibehaltung von „Büro zuhause“ kann man doch Büroraum sparen… Ich weiss von einer Firma in Bayern, die überlegt bereits einen ganzen Büroblock zu entmieten. Ich meine: grausige Zeiten!

Andere Länder, andere Sitten

In der Mediathek der ARD verfolgte ich einen Filmbericht über einen Baumarkt in Mecklenburg-Vorpommern. Zuerst dachte ich, der Beitrag sei im letzten Jahr entstanden, denn niemand trug Nasen-Mund-Schutz. Doch welche Überraschung, eine Kundin trug doch den Schutz, die Nase war aber nicht bedeckt. Dann kam noch jemand, der trug den Nase-Mund-Schutz um den Hals. Diese Bilder wären in Bayern unmöglich… und sie würden sicherlich auch nicht gesendet. Da ich unlängst in Schleswig-Holstein im Urlaub war, habe ich Vergleichsmöglichkeiten. Dort wird der Schutz in etwa so ernst genommen wie in Bayern, es gibt leichte Unterschiede. Mecklenburg-Vorpommern hat sich bis Anfang September abgeschottet, Tagestouristen waren nicht zugelassen. Untereinander benahm und benimmt man sich aber wohl recht ungeniert. So ganz zusammengewachsen sind wir noch nicht.

Ist die Pandemie Schuld?

Gerade wird wieder über die Wünsche der deutschen Automobilindustrie diskutiert: Staatliche Verkaufsförderung auch für Benzin- und Diesel-Autos. Ist das sinnvoll? Die Automobilindustrie jammert über volle Halden mit Neuwagen. Warum ist das so? Einerseits sicher, weil die Corona-Pandemie die Wirtschaft nahezu zum Stillstand gebracht hat, vor allem den Export. Andererseits ist der deutsche Markt sicher schon längere Zeit gesättigt und viele Geldbörsen sind nur noch schwach gefüllt. Ich denke, auf dem Automarkt herrscht eine Rezession, die sicher nicht mit noch mehr Neuwagen bekämpft werden kann. Ich bezweifele auch, ob dem autonom fahrenden Auto wirklich die Zukunft gehört. Fahrassistenten sind sicher wünschenswert, doch autonomes Fahren sehe ich zur Zeit nicht als zielführend an: es werden riesige Ingenieurkapazitäten gebunden für ein Ziel, das es meines Erachtens nicht wert ist. Das Geld sollte dann lieber in die Weiterentwicklung der Bahn und andere öffentliche Verkehre gesteckt werden. Ich denke, es wird die Automobilindustrie ähnlich wie die Banken treffen, man wird vom hohen Ross heruntersteigen müssen. Ich rechne mit einem Schrumpfungsprozess, wie ihn Opel bereits erlebt.

Carsten, wir sehen uns in Pentenried…